Beweiswert eines Sachverständigengutachtens
Ein aktuelles, wichtiges Urteil des Bundessozialgerichts vom 07. Mai 2019 mit Aktenzeichen B 2 U 25/17 R. Es ging um ein Verfahren aus der Unfallversicherung. Dabei im Detail um die Frage, ob ein Sachverständigengutachten, welches durch einen anderen Arzt erstellt wurde, als durch den beauftragten Gutachter, als Beweismittel verwertbar ist. Dabei auch durch den beauftragten Gutachter möglicherweise wegen Verstoßes gegen den Datenschutz herbeigeführte Unverwertbarkeit des Gutachtens. Der 2. Senat gab auch noch bekannt, dass er seine bisherige Rechtsprechung zum Rügeverlust nach verspäteter Rüge der Unverwertbarkeit im Klageverfahren ausdrücklich aufgibt.
Der Beweiswert eines Sachverständigengutachtens ist oft Streitgegenstand in gerichtlichen Verfahren. Häufig geht es um die Frage, ob ein durch eine Verwaltung oder Gericht beauftragtes Gutachten überhaupt für den beantragten Sachverhalt als Beweismittel verwertbar ist, wenn zum Beispiel ein anderer Arzt die Begutachtung vornimmt und der beauftragte Gutachter das Gutachten unterschreibt. Mal abgesehen davon, dass es sich hierbei möglicherweise um eine strafbare Handlung im Sinne einer Urkundenfälschung handeln könnte?
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Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung am Dienstag dem 07.Mai 2019 eindrücklich zu den anstehenden Rechtsfragen Stellung genommen.
Beweiswert eines Sachverständigengutachtens: Sachverhalt um den gestritten wurde (gekürzt)
Die Klägerin erlitt im Jahr 2008 einen Arbeitsunfall. Herrn Prof. Dr. E. wurde durch die beklagte Berufsgenossenschaft zur Begutachtung der Klägerin im Verwaltungsverfahren beauftragt. Er ist Chefarzt für Hand -und Replantationschirugie des Unfallkrankenhauses B. Das Gutachten wurde sowohl vom Prof. Dr. E. als auch von seinem Oberarzt Dr. B unterzeichnet. Das Gutachten kam inhaltlich zum Ergebnis, dass bei der Klägerin ein MdE im Bereich der linken Hand von 10 von 100 vorliegt. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer beantragten Unfallrente ab.
Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat nach § 109 Sozialgerichtsgesetz ein Gutachten des Chirurgen Dr. H. eingeholt. Sein Gutachten kam zum Ergebnis das im Vergleich zum Vorgutachten die Einschränkung wegen der Unterarmdrehung als auch der Bewegung im linken Handgelenk „ in allen Ebenen“ zugenommen habe (vgl. Terminsbericht des BSG vom 08.05.2019).
Die Klägerin machte erstmals vor dem SG geltend, dass das Gutachten, welches vom Prof.Dr.E. mitunterzeichnet wurde, nicht verwertbar sei. Denn dieses Gutachten war von dem nicht bestellten Oberarzt Dr.B. erarbeitet worden. Gutachter war ausschließlich der durch die BG bestellte Prof.Dr.E.
Prof. Dr. E. habe die entgegen dem § 407 a Absatz 2 Zivilprozessordnung die Kernaufgaben der ihm übertragenen Begutachtung nicht selbst erbracht, sondern sein Oberarzt. Die Klage hatte dennoch keinen Erfolg, weil ein durch das SG beauftragter Gutachter zum Ergebnis kam, dass die Folgen des Arbeitsunfalles aus 2008 nicht feststellbar seien. Auch das LSG hat die eingelegte Berufung zurückgewiesen.
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Das LSG hat im übrigen durch die Klägerin gestellte Beweisanträge zur Anhörung des Prof.Dr. E. und seines Oberarztes abgelehnt. Die Klägerin wollte in dem Berufungsverfahren durch gerichtliche Vernehmung den Professor und den Oberarzt als Zeugen anhören.
Und zwar zu der Tatsache, ob der Oberarzt Dr.B. als nicht beauftragter Sachverständiger die zeantralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbracht hat. Diesen Beweisantrag lehnt das LSG als verspätet gestellt ab. Das Rüge gegen die Auswahl eines Gutachters nach § 200 SGB VII sei grundsätzlich im Verwaltungsverfahren zu erheben. Sofern die Rüge gegen den beauftragten Gutachter erst später erfolge, sei diese Rüge verwirkt. So habe es das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden. Die Klägerin war schon im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertreten und hätte diese Rügeobliegenheit schon da vornehmen lassen müssen.
Weiterhin brauche der beauftragte Gutachter die Begutachtung nicht höchstpersönlich vornehmen. § 407 a Absatz 2 ZPO lässt auf eine solche Verpflichtung nicht schließen. Daher sei das Gutachten des Prof.Dr.E. auch nicht unverwertbar. Eine persönliche Begutachtung ist nur bei psychiatrischen Gutachten erforderlich, weil wegen der Besonderheit des Fachgebietes eine persönliche Begutachtung für eine eigene Urteilfindung durch den Gutachter unverzichtbar ist. Da es sich bei dem Gutachten um ein chirurgisch-orthopädisches Gutachten handelte, war eine persönliche Begutachtung durch den Prof.Dr.E. nicht notwendig und zwar auch nicht für die schriftliche Abfassung.
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Beweiswert eines Sachverständigengutachtens: Das BSG sieht es anders
Die Klägerin rügte mit ihrer Revision die Verletzung des § 200 Absatz 2 SGB VII und § 407 a ZPO.
Das Bundessozialgericht urteilte, dass das LSG seine Entscheidung rechtsfehlerhaft getroffen hat.
Es hat das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen
Es hat die Ablehnung einer begehrten Rentenleistung darauf gestützt, dass die Klägerin durch den Unfall keine Funktionsbeeinträchtigungen in der linken Hand mehr habe. Das LSG habe diese Feststellung beginnend ab dem Gutachten des Prof.Dr.E. aufgebaut. Dies ist rechtsfehlerhaft. Das LSG gibt in seiner Urteilbegründung nicht zu erkennen, welchen Beweiswert das Gutachten des Prof.Dr.E. im Verhältnis zu den später eingeholten Gutachten des DR. W hat. Darüberhinaus durfte das Gutachten des Prof.Dr.E. nicht als Sachverständigenbeweis gewürdigt werden. Es hätte, wenn überhaupt nur als Urkundsbeweis im Verfahren gewürdigt werden dürfen.
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Die Klägerin hat im SG-Verfahren und im Berufsverfahren nachvollziehbar vorgetragen, dass der Prof.Dr.E. sie nicht untersucht habe. Er sei ihr auch persönlich nie begegnet. Das Landessozialgericht wird neubeurteilen müssen, ob und wie das Gutachten zustandegekommen ist. Es wird beide Ärzte durch Befragung vernehmen müssen.
Bestellter Gutachter muss persönlich begutachten!
Sollte die Klägerin mit ihrer Behauptung Recht haben, dann verstößt das Gutachten gegen den § 200 Absatz 2 1.Halbsatz SGB VII. Aus dem Auswahlrecht eines Gutachters zu Gunsten des Versicherten folgt zwingend, dass die Kernaufgaben durch den bestellten und benannten Gutachter selbst zu erledigen sind.
„Zu den Kernaufgaben der Gutachtenerstellung zählt zumindest die persönliche Begegnung mit dem Probanden, in der sich der Gutachter einen persönlichen Eindruck des Probanden verschafft und der Begutachtende seine subjektiven Beschwerden selbst vorbringen kann. Dies gilt aufgrund der Sonderregelung des § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung auch bei orthopädischen Gutachten“. So wörtlich das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 07.05.2019, vergleich Terminsbericht beim BSG.
Sollte die Klägerin den Prof. Dr. E. nicht persönlich gesehen haben, so hat sie ihr Rügerecht nach Ablauf der Verwaltungsinstanz nicht verloren.
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Der 2. Senat des Bundessozialgerichts gibt ausdrücklich seine frühere Rechtsprechung vom Rügeverlust auf, wenn im Verwaltungsverfahren nicht gerügt wurde (BSG, Urteil vom 20.7.2010 – B 2 U 17/09 R).
Beweiswert eines Sachverständigengutachtens: Beweisverwertungsverbot Datenschutz
Das durch den Prof.Dr.E. unterzeichnete Gutachten unterliegt allein wegen seiner Unterschrift keinem Beweisverwertungsverbot. § 200 Absatz 2 1.Halbsatz SGB VII ist nach Ansicht des Gerichts nur eine Verfahrensvorschrift.
Aber es kann auch Gründen des Datenschutzes ein Beweisverwertungsverbot vorliegen. Denn der Prof.Dr.E. muss befugt gewesen sein, die besonderen persönlichen Daten der Klägerin an seinen Oberarzt Dr. B. weiterzugeben oder zu übermitteln. Dann kommt es auch noch daraufan, so das BSG ob der Dr.B. befugt war, persönliche Daten bei der Klägerin zu erheben.
Verstoß gegen Datenschutz kann Unverwertbarkeit des Gutachtens begründen
Zwischen dem Prof.Dr. E. und seinem Oberarzt müssen zwingend die Voraussetzungen der Auftragsdatenverarbeitung nach dem §§ 80 SGB X alte Fassung beziehungsweise nach den § 11 Bundesdatenschutzgesetz vorliegen. Und die Klägerin muss wirksam in die Datenerhebung und Übermittlung eingewilligt haben (vorher der Begutachtung). Sollte kein Verstoß gegen den Datenschutz vorliegen und das Gutachten somit verwertbar sein, so muss das LSG den Dr.B. als sachverständigen Zeugen zu seinen Messwerten bei der Begutachtung hören.
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Fazit
Ein Urteil mit erheblicher Auswirkung auf die Praxis. Das BSG hat festgestellt, dass das Gutachten durch den bestellten Gutachter zu erbringen ist. Sollte dies nicht geschehen sein, so kann ein Beweisverwertungsverbot schon dann vorliegen, wenn persönliche Daten des Versicherten in der Begutachtung durch den nicht bestellten Gutachter erhoben oder verarbeitet werden, ohne dass es eine vorherige Einwilligung durch den Versicherten gab. Oder aber auch aus dem Grund, weil der erstbestellte Gutachter ohne Einwilligung des Versicherten dessen persönliche Daten an die die andere Gutachterperson weitergab. Das Rügerecht gilt auch in der ersten Instanz und ist bei Nichtrüge im Verwaltungsverfahren nicht mehr verbraucht.
Autor des Beitrages
Peter Knöppel
Peter Knöppel ist Rentenberater, Fachanwalt für Sozialrecht und Rechtsanwalt. Er analysiert, erkennt und geht oftmals neue Wege in Sachen Rente.