EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit
Eine neue Entscheidung des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg von 05.07.2017, L 13 R 1079/16, welches einem mit Taubheit betroffenen Versicherten eine volle Erwerbsminderungsrente zusprach. Obwohl der Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen hat. Wir klären auf, warum ein Versicherter trotz vollen Leistungsvermögens dennoch eine Erwerbsminderungsrente erhalten kann.
Eine EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit ist ein Ausnahmefall. So hat es die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in ständiger Rechtssprechung geurteilt. Mit einer solchen Ausnahme beschäftigt sich der Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 05.07.2017.
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EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit: um was geht es?
Der Kläger ist wegen einer Hirnhautentzündung ertaubt. Er kann weitestgehend so sprechen, wie ein Mensch vor dem allgemeinen Spracherwerb sprechen kann. ER hat einen Grad der Behinderung von 100. Er hatte eine Berufsausbildung als Fliesenleger absolviert und arbeitete in einer Fliesenlegerfirma. 2011 erlitt er einen Arbeitsunfall mit Verletzungen am Brustkorb und an der Schulter. Er bezog eine befristete Unfallrente mit einem MdE von 20.
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Am 25.09.2012 beantragte er eine Rente wegen Erwerbsminderung, unter anderem wegen seiner Gehörlosigkeit und den schweren Sprachstörungen. Daneben hatte er orthopädische Probleme wegen dem Unfall. Eine Tätigkeit als Fließenleger, so die Untersuchungen durch einen Orthopäden, sei nicht mehr zumutbar. Leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen seien aber vollschichtig noch möglich. Tätigkeiten mit Anforderungen an das Gehör seien bei dem Kläger nicht mehr möglich. Die Vertrauensärztin der Deutschen Rentenversicherung kam zum gleichen Ergebnis.
Die Deutsche Rentenversicherung bewilligte dem Kläger bis zur Einarbeitung einer neuer Tätigkeit eine teilweise Erwerbsminderungsrente wegen Berufsunfähigkeit, zahlte diese aber nicht aus. Ein Anspruch auf die volle Erwerbsminderungsrente wurde abgelehnt. Nach Auslaufen des Verletztengeldes zahlte die Beklagte die teilweise EM-Rente aus.
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Nach erfolglosen Widerspruch reichte der Kläger Klage beim Sozialgericht ein. Die Beklagte sagte, dass die Taubheit des Klägers keine schwere spezifische Leistungseinschränkung sei. Es sind nur Tätigkeit ausgeschlossen, die eine uneingeschränkte Kommunikationsfähigkeit erforderten. Außerdem besteht das Restleistungsvermögen nicht nur für leichte Tätigkeiten, sondern auch für mittelschwere Tätigkeiten, so dass sie einen Verweisungsberuf nicht benennen muss. Es sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichende Jobs vorhanden.
Die Entscheidung durch das Sozialgericht
Das Sozialgericht gab dem Kläger in der ersten Runde Recht. Der Kläger war der Auffassung, dass er eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt. Eine Einarbeitung in einen neuen Job ist derart schwierig, weil er sich ohne Hilfe Dritter nicht verständigen kann. Seine bisherige Berufstätigkeit kann nicht widerlegen, dass die Bedingungen des Arbeitsmarktes, wie sie heute vorliegen, es ihm unmöglich machen, sein bestehendes Restleistungsvermögen so einzusetzen, dass er eine volle Erwerbsminderung vermeiden kann. Er hatte bisher nur einen Job gehabt. Er kann seine Arbeit ohne seine Frau, die ihn begleitet, nicht durchführen.
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Die Beklagte benannte im Klageverfahren noch Verweisungsberufe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für den Kläger, wie Warenaufmacher, Versandfertigmacher, Sortierer, Montierer in der Metall-und Elektroindustrie und als Reinigungskraft. Diese Jobs seien mit den qualitativen Einschränkungen der Leistung und mit der Gehörlosigkeit vereinbar.
EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit: medizinische Befunde
Das SG hatte Befunde erhoben. Die erlittenen orthopädischen Verletzungen würden nicht gegen eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sprechen. Ein Gutachter kam zum Ergebnis, dass der Kläger seine Tätigkeit als Fließenleger nicht mehr ausüben könne. Mittelschwere bis leichte Tätigkeiten seien aber noch möglich. Aber mit den Einschränkungen, keine schweren Lasten von mehr als 10 kg anzuheben, Arbeiten unter überwiegenden Stehen, Bücken und Einnahme von Zwangshaltungen, sowie Arbeiten auf Leitern, an gesundheitsgefährdenen Maschinen, Arbeiten an Zugluft, Nässe, unter Hitze und Kälte seien zu vermeiden. Unter diesen Einschränkungen sei der Kläger noch in der Lage, Tätigkeiten vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.
Das Sozialgericht verurteilte die Deutsche Rentenversicherung zur Feststellung einer vollen Erwerbsminderungsrente und zwar ab 09-2012.
Der Kläger ist zwar vollschichtig leistungsfähig, dies aber nur unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen. Die Taubstummheit des Klägers ist eine schwere spezifische Leistungseinschränkung. Der Arbeitsmarkt ist deshalb verschlossen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass ein Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten attestiert wurde.
Gegen das Urteil des Sozialgerichtes legte die Beklagte fristgerecht Berufung ein.
Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg!
Dem Kläger steht nach der Entscheidung des LSG eine volle Erwerbsminderungsrente trotz voller Leistungsfähigkeit zu.
Die Beklagte sagte im Berufungsverfahren, dass dem Kläger die benannten Verweisungsberufe zumutbar sind.
Durch neue medizinische Befunde, welche durch das LSG erhoben worden sind, stellte sich heraus, dass der Kläger nur auf Grund von Lippenlesen sehr langsame Sprachanweisungen verstehen kann. Der Kläger könne selbst so gut wie gar nicht normal kommunizieren. Er hat eine Sprachkompetenz eines vor Spracherwerb ertaubten Menschen ( ein Baby/ Kleinkind erlernt die Sprache in den ersten 2-3 Jahren). Er kann keine verständlichen Anweisungen erteilen. Er spricht die klassische Gehörlosensprache, die bei ihm sehr unverständlich ist. Die Gutachterin des Gerichtes hatte große Mühe, den Kläger zu verstehen.
Der Senat des LSG hat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden, weil der die durch die Beklagte eingelegte Berufung einstimmig für unbegründet hielt. Der Kläger hat ein Anspruch auf eine volle dauerhafte EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit.
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Die Entscheidungsgründe des LSG
Der Arbeitsmarkt ist für den Kläger verschlossen, so das Gericht.
De Arbeitsmarkt ist zum Beispiel verschlossen, wenn der Weg zur Arbeit für den Betroffenen nicht mehr möglich ist, oder sogenannte betriebsunübliche Arbeitsbedingungen bestehen, die es unzumutbar machen, dass ein Betroffener auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann.
EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit: betriebsübliche Arbeitsbedingungen
Dem Kläger ist es nicht mehr möglich, unter betriebsüblichen Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Die auf Dauer ausgesprochene EM-Rente ist daher zu Recht durch das Sozialgericht erteilt worden. Eine zumutbare konkrete Verweisungstätigkeit sei dem Kläger nicht benannt worden.
Bei einer vollschichtigen Erwerbsfähigkeit ist der Arbeitsmarkt dann verschlossen, so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes unter anderem vom 27.05.1977, Az.: 5 RJ 28/76, wenn der betroffene Versicherte nicht unter dem im Betrieb üblichen Bedingungen arbeiten kann.
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Betriebsunübliche Bedingungen liegen zum Beispiel vor bei:
- ekelerregenden oder ansteckenden Krankheiten,
- häufig auftretenden Fieberschüben, Einschränkungen der Arm-und Handbeweglichkeit,
- bei Einarmigkeit oder Anfallsleiden.
Das Sozialgericht hatte geurteilt, dass der Kläger nur noch unter sogenannten betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten kann. Dies wurde im Berufungsverfahren durch einen sachverständigen Professor bestätigt. Dieser sagte aus, dass der Kläger nur von den Lippen Sprache ablesen kann, wenn diese extrem langsam gesprochen wird und die Sprechenden gegenüber dem Kläger stehen, so dass er sie sehen kann.
Selbst die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten setzen ein Mindestmaß an Kommunikation voraus. So ist es auch in einem Sortierbetrieb üblich, Arbeitsabläufe zu besprechen. Dies ist aber beim Kläger auch in diesen Verweisungstätigkeiten nicht mehr möglich. Es ist für jedes Unternehmen unzumutbar, für jede Tätigkeit Anweisungen vorzunehmen, wenn der Sprechende vor dem Kläger steht. Somit ist der Arbeitsmarkt für den tauben Kläger verschlossen.
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Die ausgesprochene Dauerrente ist wirksam erteilt worden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Taubheit des Klägers für die Zukunft nicht bessern wird.
EM-Rente trotz voller Leistungsfähigkeit
Erwerbsminderungsrenten kann man nicht nur bekommen, wenn man weniger als 3 Stunden arbeiten kann, sondern auch dann wenn schwere Leistungseinschränkungen bestehen, die eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unmöglich machen. Dies sind aber Ausnahmen. Bei schweren Behinderungen aber naheliegend und daher zu prüfen! Ähnlich wie bei der Wegeunfähigkeit, die zu einer vollen EM-Rente führen kann.
Ja, ich möchte wissen, ob ich einen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente habe!
Autor des Beitrages
Peter Knöppel
Peter Knöppel ist Rentenberater, Fachanwalt für Sozialrecht und Rechtsanwalt. Er analysiert, erkennt und geht oftmals neue Wege in Sachen Rente.